Wunsch & Wille

Das neue Betreuungsrecht 2023

W

unsch und Wille des Betroffenen – für die Profis im Betreuungswesen ist klar, dass das die zentralen Kriterien unserer Arbeit sind. Aber: für unsere Gesellschaft, für die Öffentlichkeit, für die Medien ist das heute, mehr als 22 Jahre nach Inkrafttreten des Betreuungsgesetzes, gar nicht klar. Auch wenn der Gesetzgeber Entmündigung und Vormundschaft vor fast einem Vierteljahrhundert abgeschafft hat, ist in den Köpfen vieler, nach meiner subjektiven Beobachtung der meisten Menschen noch die Vorstellung von Über-Unterordnung, von Entmündigung vorhanden.

Wir begegnen in unserer täglichen Arbeit Unverständnis, wenn nach einer Betreuerbestellung der Arzt, der Behördenmitarbeiter, der Zivil- und Strafrichter – (nicht der der merkwürdigen Sonderspezies zugehörige Betreuungsrichter) – darauf hingewiesen werden muss, dass man doch bitteschön zunächst den Betreuten zu fragen habe, wenn man etwas von ihm wolle. Und sei es, dass man ihm angeblich nur Gutes tun, nur helfen wolle.

„Wenn ich wüsste, dass jemand in mein Haus käme, um mir Gutes zu tun, dann würde ich um mein Leben rennen“ – ein Satz von Henry David Thoreau, der über 150 Jahre alt, aber immer noch nicht angekommen ist. Auch Helfen wird als Bevormundung empfunden werden, wenn es nicht dem Wunsch und Willen des Hilfeempfängers entspricht, sondern dem, was der Helfer für das Wohl hält.

Aber: Es ist schwierig, nicht zu helfen, wenn ich sehe, dass der Betroffene sich selbst schädigen könnte. Und: als Betreuer kann ich verpflichtet sein, eine Selbstschädigung meiner Betreuten zu verhindern.

B

eraten und unterstützen, entsprechend den Wünschen des Betroffenen, vertreten nur, wenn dies unbedingt erforderlich ist zur Durchsetzung der Wünsche und Rechte und zum Schutz des Betroffenen, das ist Betreuung nach dem BGB.

Aus der Hildesheimer Erklärung, dem Ergebnis des Nord-BGT im September 2013, möchte ich in Erinnerung rufen: „Das Recht des Betroffenen auf Selbstbestimmung ist als oberstes Ziel in jedem einzelnen Betreuungsverhältnis durchzusetzen. Die Betroffenen sind in Veränderungsprozesse einzubeziehen. Der Anspruch auf Selbstbestimmung auch bei Krankheit und Behinderung ist in allen Schul- und Hochschulausbildungen, in dauernder Öffentlichkeitsarbeit des Bundes und der Länder, der Kommunen und der Verbände der Wohlfahrtspflege bekannt zu machen. Der Anspruch auf Selbstbestimmung auch bei Krankheit und Behinderung ist handlungsleitender Maßstab für alle ehrenamtlich und beruflich Tätigen im System der Unterstützung bei Menschen mit Krankheit und Behinderung.“

Die justizpolitische Diskussion wird nach wie vor unter dem Aspekt der Einsparmöglichkeiten geführt, nicht unter dem Aspekt der Selbstbestimmung der Betroffenen und der Qualität der Betreuer. Jeder weiß aus dem Alltag: „Billig“ bedeutet nicht „preiswert“. Sparen, koste es, was es wolle, zeitigt allenfalls kurzfristige, nicht nachhaltige Erfolge. Immerhin haben die Landesrechnungshöfe auf ihrer Konferenz am 1. Oktober in Potsdam gefordert, dass die Qualität rechtlicher Betreuung zu verbessern sei – allerdings sei auch der Kostenanstieg zu begrenzen.

Ja! Gute Betreuung ist auf Dauer preiswert!

 

N

och ein kleiner Trost für die Landesjustizverwaltungen: Die Zahlen für die Betreuungsverfahren zum Jahresende 2013, die demnächst in der BtPrax von Horst Deinert veröffentlicht und kommentiert werden, sind gegenüber 2012 bundesweit um über 1% zurückgegangen auf 1.310.629. War das die Trendwende? Bevor jemand jubelt, erlaube ich mir den Hinweis, dass das nach meinen Erfahrungen mit der Genauigkeit der Justizstatistiken in diesem Bereich weit unterhalb unserer Fehlerquoten liegt.

Nun bin ich gespannt, was uns die Politik ankündigen wird, immerhin enthält die Koalitionsvereinbarung der Regierungsparteien– nach dem Punkt „elektronische Akte“ und „der Zusammenführung des Staatshaftungsrechts“ aber vor „der Stärkung des Rechtsprechungsmonopols des Staates“ die Passage: „Wir wollen das Betreuungsrecht in struktureller Hinsicht verbessern und damit das Selbstbestimmungsrecht hilfebedürftiger Erwachsener bedarfsgerecht stärken. Wie werden das Vormundschaftsrecht modernisieren.“

Und die Justizministerkonferenz hat im Juni beschlossen, den Reformprozess weiterzuführen und eine ressortübergreifende Arbeitsgruppe zusammen mit den Sozialressorts zu bilden. Ob das dort auf Gegenliebe stößt?

Wir wissen, dass nur der interdisziplinäre Dialog weiterführt, aber wir beobachten nach wie vor ein Kästchen- und Ressortdenken.