Rechtlich
UN - Behindertenrechtskonvention
1. Selbstbestimmung ist der erste Grundsatz der Konvention: „die Achtung der dem Menschen innewohnenden Würde, seiner individuellen Selbstbestimmung, einschließlich der Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen, sowie seiner Unabhängigkeit,“ (Art 3 lit. a). Die Verwirklichung von Selbstbestimmung – als Kern der Ausübung von Rechts- und Geschäftsfähigkeit – muss in den Blickpunkt rücken; die Unterstützung bzw. Assistenz ist der Modus und nicht ein eigenes Ziel.
2. Die Verwirklichung der Selbstbestimmung aller Menschen hat Grenzen - sie werden jedoch auf Grund gesellschaftlicher Mechanismen unterschiedlich gesetzt und geahndet. Eine sehr starre Grenze für Menschen mit Behinderungen – und andere Menschen – erwächst aus dem Paternalismus und seinen Spielvarianten, insbesondere „der guten Absicht“ und „den besten Intentionen.“
3. Die Limitierung von Selbstbestimmung hat dramatische, insbesondere soziale und psycho-soziale, aber auch rechtliche Konsequenzen: „Das Etikett der Inkompetenz wird für viele Menschen, die eine/n Sachwalter/in haben, zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung, in der sie vor allem Hilflosigkeit und Abhängigkeit lernen,“ (MonitoringAusschuss.at, Stellungnahme „Jetzt entscheide ich!“).
4. Jede Entscheidung ist im Kern ähnlich komplex es liegt jedoch vielfach Erfahrungswissen vor, auf das zurückgegriffen werden kann und mit dem Entscheidungen beschleunigt werden können. Für Menschen mit Behinderungen ist das Erfahrungswissen vielfach nicht gegeben, weil sie die Erfahrungen nicht machen konnten.
5. Jeder Mensch nimmt für Entscheidungsprozesse regelmäßig Unterstützung oder Assistenz in Anspruch: Das Abfragen oder Einholen von Erfahrungswissen wird unter „chronisch normalen Menschen“ vielfach als kulturelle Übung gelebt: gerade Konsumentscheidungen basieren oft auf der Vorinformationen Dritter. Die sozialen Barrieren, denen Menschen mit Behinderungen oftmals gegenüberstehen, insbesondere die Konsequenzen von gesellschaftlicher Exklusion, minimieren die Möglichkeiten, diese Kulturtechnik adäquat zu erlernen.
6. Assistenz und Unterstützung werden je nach gesellschaftlicher Position anders beurteilt - ein Beraterstab ist auch ein Ausweis von Macht und Prestige, ist im Kern jedoch nichts anderes als die Unterstützung in der Entscheidungsfindung. Die Auswahlmöglichkeit des Personals ist im Verhältnis zu BetreuerIn/SachwalterIn der eine, entscheidende, Unterschied. Die unter- schiedliche Bewertung von Assistenz und Unterstützung ist einer der deutlichsten Auswüchse des alten Paradigmas.
7. Assistenz und Unterstützung werden in der Konvention in der Bestimmung zur gleichberechtigten Teilhabe an Wahlen hilfreich präzisiert: Um die freie Willensäußerung der Wahl zu garantieren, dürfen sich WählerInnen auf Wunsch durch eine Person ihrer Wahl unterstützen lassen; (Art 29 lit. a Zif. iii). Die Bedeutung der Selbstbestimmung wird hier mehrfach betont: „freier Wille“, „auf Wunsch“ und „Person ihrer Wahl“ sind gleich drei explizite Formulierungen für die Manifestation der Entscheidungsfreiheit. Die Unterstützungsoption wird zwar hinzugefügt, sie ist aber klar als eine Möglichkeit und nicht als eine Notwendigkeit formuliert.
8. Art 12 UN-BRK ist kein Solitär - Die Bestimmung in der UN-BRK steht in einem menschenrechtlichen Kontext in dem sie interpretiert und implementiert werden muss; sie hat ihren unmittelbaren Vorläufer in Artikel 15 der Konvention zur Beseitigung jeglicher Diskriminierung der Frau: darin wird die rechtliche Gleichstellung von Frauen postuliert, insbesondere „dieselbe Rechtsfähigkeit wie Männer und dieselben Möglichkeiten zur Ausübung dieser Rechtsfähigkeit,“ (Abs. 2). Der gesellschaftspolitische, aber auch rechtliche, Wandel, den die Gleichstellungspolitik in Genderfragen bereits erreicht hat, jedoch auch der noch bestehende Änderungsbedarf in Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit, machen das Potenzial von Art 12 UN-BRK noch einmal anders deutlich.
9. Eine breite Diskussion ist notwendig - die insbesondere die Verpflichtung der Partizipation von ExpertInnen in eigener Sache – SelbstvertreterInnen – gemäß Art. 4 Abs 3 UN-BRK in sämtlichen Phasen faktisch und auf Augenhöhe umsetzt.
10. Würde ist ein Grundanspruch - der sich auch durch die Ermöglichung von Risiko verwirklicht: zur Realisierung von Selbstbestimmung muss man auch Risiken eingehen können, paternalistische Haltungen und Strukturen müssen im Lichte des Paradigmas „Würde des Risikos“ radikal hinterfragt und bearbeitet werden.
11. Vorauseilende Haftung umschreibt vielfältige Regeln und Maßnahmen, die geschaffen wurden, um Menschen mit Behinderungen zu „schützen,“ um Risiken zu minimieren, um „Sicherheit“ zu schaffen. Viele dieser Haftungsbestimmungen widersprechen dem Paradigma der UN-BRK.
12. Access to Justice - Art 12 UN-BRK ist Teil eines größeren Ganzen, in dem es um die Gewährleistung im Zugang zum Recht geht – siehe insbesondere Art 13 UN-BRK. Nicht ernst genommen zu werden, Respektlosigkeit zu erleben ist die größte Barriere, die SelbstvertreterInnen im Zugang zum Recht monieren
Rechtliche Betreuung(RB)
Volljährige, die aufgrund von Erkrankungen oder Behinderungen ihre Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht mehr selbst besorgen können (BGB § 1896)
rechtliche Handlungsfähigkeit
Es geht immer um die rechtliche Handlungsfähigkeit
RB kann Teilhabeleistungen bei fehlender Geschäftsfähigkeit organisieren
RB ist eine im Zivilrecht verankerte Aufgabe
RB dient zur Wiederherstellung der rechtlichen Handlungsfähigkeit:
− Teilhabeziel − Förderung der Selbstbestimmung
− eine eigene Teilhabeleistung (Entscheidung des BSG)
Leistungserbringung (LE) Sozialrecht
Menschen mit einer (drohenden) Behinderung haben ein Anrecht auf Teilhabeleistungen nach SGB IX
Sozialrechtliche Ansprüche
Es geht um sozialrechtliche Ansprüche
Durch Teilhabeleistung kann evtl. RB verhindert werden (Subsidiarität und Nachrangigkeit)
LE ergibt sich aus sozialrechtlichen Verpflichtungen
LE dient der Integration und Teilhabe in/an der Gesellschaft und der Förderung des Selbstbestimmungsrechts
Die Zusammenstellung in der Tabelle erläutert, dass es sich um unterschied- liche Rechtssysteme handelt (Zivilrecht – Sozialrecht). Die weitere Unterscheidung zwischen rechtlicher Handlungsfähigkeit und dem Ermöglichen von Teilhabe scheint mir darüber hinaus sehr bedeutsam. Bereits hieraus ergeben sich verschiedene Aufträge und Rollen. Demzufolge macht es m. E. auch Sinn, sich im Folgenden an einer Abgrenzung der Rollen und Aufgaben zu orientieren, die der bereits oben erwähnte Wolf Crefeld beschrieben hat und die es nun gilt, weiter auszuarbeiten – die Unterscheidung in Auftrags- und Leistungsmanagement.
Rechtliche Betreuung:
Auftragsmanagement
− Sicherung der Lebensgrundlage
− Organisation von Leistungen
− Beauftragung und Kontrolle von LE
− Interessenvertretung der Betreuten
− Verbraucherschutz
Leistungserbringung
Leistungsmanagement
− Erbringen von Leistungen
− Fallsteuerung/Fallkoordination
− Begleitung im Lebensalltag
− praktische Hilfen
− psychosoziale Beratung