Soll ich meinen Betreuer wechseln – und wann ist ein Wechsel notwendig?
Dieser Leitfaden erklärt, wann ein Betreuerwechsel sinnvoll ist, wie Sie dabei vorgehen und welche Rahmenbedingungen den Wechsel heute erschweren. Er richtet sich an Betroffene, Angehörige und Fachstellen.
Kurzfassung
Ein Wechsel ist sinnvoll, wenn Erreichbarkeit und Verlässlichkeit nachhaltig fehlen, Krisen nicht ernst genommen/koordiniert werden, die fachliche Passung (z. B. traumasensible Begleitung) nicht gegeben ist, Anträge/Fristen liegen bleiben oder das Vertrauen dauerhaft gestört ist. Der Wechsel wird beim Betreuungsgericht angeregt; eigene Vorgespräche mit möglichen neuen Betreuer:innen beschleunigen die Umsetzung. Parallel unterstützt die Betreuungsbehörde – realistisch muss jedoch mit Wartezeiten gerechnet werden. (Hannover)
Kompakt-Checkliste (auf einen Blick)
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In den letzten 6–8 Wochen mehrfach ohne Antwort geblieben?
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Akute Krisen wurden nicht zeitnah aufgegriffen/koordiniert?
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Fach-Passung fehlt (z. B. keine Traumasensibilität bei DIS)?
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Anträge/Fristen (Pflegegrad, Eingliederungshilfe, Assistenz) hängen?
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Vertrauen: Fühlen Sie sich nicht respektiert/verstanden?
Auswertung: Treffen mindestens drei Punkte zu, Wechsel prüfen. Bei Gefahr sofort medizinische Hilfe (z. B. 112/ÄBD) und Gericht informieren.
1) Woran erkennen Sie, dass ein Wechsel sinnvoll ist?
Typische Warnsignale sind wochenlange Funkstille, bagatellisierte Krisen, fehlende fachliche Passung (z. B. bei Trauma/DIS/Autismus), Organisationsmängel (versäumte Fristen, verlorene Unterlagen) und ein festgefahrenes Verhältnis ohne Klärungsbereitschaft. Ein Einzelfehler ist kein Wechselgrund – Wiederholung und Verweigerung der Klärung schon.
2) Rahmenbedingungen 2025: Warum ist die Suche so schwierig?
Die Nachfrage nach rechtlicher Betreuung steigt seit Jahren; aktuell sind in Deutschland rund 1,3 Mio. Menschen unter Betreuung (nahezu doppelt so viele wie Mitte der 1990er-Jahre). Das erhöht den Druck auf Gerichte, Behörden und Berufsbetreuer:innen. (Berufsbetreuung) In Niedersachsen wurden schon 2018 über 160.000 Betreuungen gezählt (durchschnittliche Dauer: 7,3 Jahre). Die Fälle werden nicht nur mehr, sie bleiben auch lange bestehen – das verengt die Kapazitäten zusätzlich. (Niedersachsen Justizministerium) Hinzu kommt, dass ein großer Teil der neu eingerichteten Betreuungen ältere Menschen betrifft (2023 bundesweit > 55 % in den Altersgruppen 61–90 Jahre). Der demografische Wandel stabilisiert die hohe Grundlast. (KVJS)
Überalterung & Nachwuchs
Verbände und Studien kritisieren seit Jahren eine Überalterung in der Berufsgruppe und Nachwuchsprobleme – bei gleichzeitig zu geringer Vergütung/Zeitetats. Das ZDF beleuchtete 2025 die Lage („Rechtliche Betreuer am Limit“), Verbandsberichte und frühere BMJ-Studien verweisen auf Mehrarbeit gegenüber der bezahlten Zeit (Ø 4,1 Std. geleistet vs. 3,3 Std. bezahlt pro Monat und Fall). Das führt zu hohen Fallzahlen je Betreuer:in und erschwert Neuakquise. (Berufsbetreuung) Fazit: Auch mit Hilfe der Betreuungsbehörde (z. B. Region Hannover: „Team Betreuungsangelegenheiten“) dauert die Suche häufig länger; deswegen ist es sinnvoll, selbst aktiv Vorgespräche zu führen und eine Wunschperson zu benennen. (Hannover)
3) Ihre Rechte – kurz erklärt
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Wunsch- und Wahlrecht: Das Gericht berücksichtigt Ihren Betreuerwunsch, wenn Eignung und Kapazität vorliegen.
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Formlose Anregung: Ein Wechsel wird angeregt (kein Streitverfahren); Maßstab ist Ihr Wohl. Die Reform 2023 (BtOG/BGB/FamFG-Anpassungen) stärkt Selbstbestimmung und Qualitätsanforderungen. (Anwaltsblatt)
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Behördenbeteiligung: Die Betreuungsbehörde sucht Alternativen; knappe Kapazitäten bleiben aber systemisch. (Hannover)
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Eilfälle: Bei Gefahr in Verzug sind vorläufige Anordnungen möglich.
4) Vorgehen – Schritt für Schritt
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Dokumentieren Führen Sie ein knappes Protokoll (Datum, Kanal, Anlass, Ergebnis). Heben Sie Nachweise auf (Mails, Briefe, Arzt-/Klinikberichte).
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Klärungsversuch Bitten Sie schriftlich um Termin, benennen Sie konkrete Punkte und setzen Sie eine Frist (z. B. 14 Tage).
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Passung prüfen Führen Sie Vorgespräche mit 1–2 Betreuer:innen. Achten Sie auf Traumasensibilität/Krisenkompetenz und Kapazität; bitten Sie um ein kurzes Bereitschaftsschreiben.
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Wechsel anregen (Gericht) Reichen Sie ein formloses Schreiben mit Begründung, Kontaktprotokoll (Auszug) und Wunsch-Betreuung (Kontaktdaten + Bereitschaft) ein.
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Gerichtliche Prüfung Anhörungen, Beteiligung der Behörde, Entscheidung. Bis dahin bleibt die bisherige Betreuung im Amt (Ausnahme: Eilfall).
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Geordnete Übergabe Nach der Entscheidung: Akten, Vollmachten, Zugangsdaten sowie laufende Anträge übergeben; Aufgaben & Fristen schriftlich festhalten.
5) Spezielle Bedarfe: traumasensible Betreuung (z. B. bei DIS)
Traumasensible Arbeit stellt Stabilisierung vor Tempo, spricht klar und validierend, sichert Absprachen schriftlich und bindet das Hilfenetz (Therapie/Ärzt:innen/Assistenz/Krisenplan) ein. Fehlt dies dauerhaft und bleiben Klärungsversuche erfolglos, ist ein Wechsel angezeigt.
6) Wenn ein neuer Betreuer übernimmt: Konfliktfelder realistisch einschätzen
Ein Wechsel erfolgt selten im „leeren Raum“. Offene Konflikte, enttäuschte Erwartungen, zeitkritische Anträge oder gar akute Krisen sind oft vorhanden. Neue Betreuer:innen müssen Sachstand erheben, Netzwerke stabilisieren, Fristen retten und Beziehung aufbauen – ein hoher Einarbeitungsaufwand, der nicht vollständig durch die Pauschalvergütung abgebildet wird (s. u.). Frühzeitige Erwartungsklärung („Was geht sofort, was braucht Zeit?“) schützt vor neuen Enttäuschungen.
7) Vergütung nach VBVG – warum die „> 2 Jahre“-Marke wichtig ist
Die Vergütung beruflicher Betreuer richtet sich nach monatlichen Fallpauschalen. Maßgeblich sind Dauer der Betreuung, Aufenthaltsort (stationär/andere Wohnform) und Vermögensstatus (mittellos/nicht mittellos). Für die Dauer unterscheidet das VBVG fünf Zeiträume (u. a. 0–3 Mon., 4–6 Mon., 7–12 Mon., 13–24 Mon., ab 25 Mon.). Mit zunehmender Dauer sinken die Pauschalen – d. h. ab dem 25. Monat (also nach zwei Jahren) wird weniger vergütet als im ersten Jahr. Bei einem Betreuerwechsel zählt für die Stufenzuordnung der Beginn der ursprünglichen Betreuung, nicht der Wechselzeitpunkt. (Gesetze im Internet)
Ausblick: Nach einem aktuellen Gesetzesvorhaben sollen die Zeiträume künftig auf zwei Stufen (0–12 Mon./ab 13. Monat) reduziert werden; Übergänge sind vorgesehen. Bis zum Inkrafttreten gilt jedoch das bestehende System. (BMJV)
Praktische Folge: Wer bereits > 2 Jahre betreut wird, fällt in eine niedrigere Pauschale. Ein neuer Betreuer übernimmt dann häufig komplexe Einarbeitung bei reduzierter Vergütung – das erklärt, warum Zusagen bei betreuungsintensiven Wechseln teils schwer fallen. (Buzer.de) Hinweis mittellos/nicht mittellos: Die Pauschalen unterscheiden sich nach Vermögensstatus; die Kriterien und Tabellen finden sich direkt im Gesetz und begleitenden Übersichten. (Gesetze im Internet)
8) Zeitbudget vs. Realität: Warum Übergaben „knirschen“
Studien zeigen seit Jahren eine Lücke zwischen bezahlter und tatsächlich benötigter Zeit (Ø 3,3 Std. bezahlt vs. 4,1 Std. Arbeit/Fall/Monat). In der Praxis „frisst“ eine Übernahme zunächst Recherche/Einarbeitung/Koordination, ohne dass zusätzliche Pauschalen greifen. Folglich müssen neue Betreuer:innen Übergaben priorisieren (Krisen/Existenzsicherung zuerst). Für Klient:innen heißt das: Transparente Prioritäten und Dokumentation beschleunigen die Stabilisierung. (Berufsbetreuung)
9) Rolle der Betreuungsbehörde
Die Betreuungsbehörde berät, nimmt Wünsche auf, prüft Eignung/Kapazitäten und schlägt Bewerber:innen vor. In der Region Hannover übernimmt dies das „Team Betreuungsangelegenheiten“. Aufgrund der gesamtdeutschen Engpässe können Suchläufe aber Monate dauern – parallel eigene Kontakte aufzubauen, bleibt der effektivste Weg. (Hannover)
10) Vorgehen – Mustertexte
A) Klärungsbitte an die aktuelle Betreuung
Betreff: Bitte um Klärung und Termin – [Name], Az. [falls bekannt]
Sehr geehrte/r [Name],
ich möchte folgende Punkte besprechen: [1–3 Punkte].
Bitte schlagen Sie mir innerhalb von 14 Tagen einen Termin vor und teilen Sie mit,
wie die offenen Fristen/Anträge bearbeitet werden.
Mit freundlichen Grüßen
[Name, Kontakt]
B) Anregung eines Betreuerwechsels beim Gericht
An das Betreuungsgericht [Ort]
Betreff: Anregung eines Betreuerwechsels – [Name], Az. [falls bekannt]
Sehr geehrte Damen und Herren,
hiermit rege ich gemäß §§ 1814 ff. BGB den Wechsel der rechtlichen Betreuung an.
Begründung in Kürze:
1) [Datum/Anlass] – [keine Reaktion/versäumte Frist]
2) [Datum/Anlass] – [keine Krisenreaktion]
3) Fachliche Passung fehlt (z. B. traumasensible Begleitung erforderlich).
Ich schlage [Name, Anschrift, Kontakt] als neue/n Betreuer:in vor.
Eine Bereitschaftserklärung liegt bei / wird nachgereicht.
Mit freundlichen Grüßen
[Name, Anschrift, Kontakt]
Anlagen: Kontaktprotokoll (Auszug), Nachweise, ggf. Bereitschaftsschreiben
11) Unterlagen-Checkliste (zum Abhaken)
Dokumentation
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Kontaktverlauf (Datum/Kanal/Ergebnis)
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Nachweise (E-Mails, Briefe, Arzt-/Klinikunterlagen)
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Übersicht laufender Anträge/Fristen (Pflegegrad, EGH, Assistenz)
Wunsch-Betreuung
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1–2 Vorgespräche geführt
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Passung (Trauma/DIS/Krise) & Kapazität geklärt
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Bereitschaftsschreiben vorhanden
Für das Gericht
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Kurze Begründung (max. 1 Seite) mit 2–3 Beispielen
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Auszug Kontaktprotokoll
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Relevante Bescheide/Anträge (Kopie)
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Kontaktdaten der Wunsch-Betreuung
Nach der Entscheidung
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Akten/Vollmachten/Zugänge übergeben
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Aufgaben- & Fristenplan mit neuer Betreuung festlegen
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Netzwerk (ABW, Ärzt:innen, Assistenz) informieren
12) FAQ
Muss ich „Beweise“ liefern? Nein. Konkrete Beispiele und Unterlagen helfen dem Gericht. Darf ich mir jemanden aussuchen? Ja, Wunschpersonen werden berücksichtigt, wenn Eignung und Kapazität gegeben sind. Wie lange dauert das? Unterschiedlich. Wegen Kapazitätsmangels kann es dauern; eigene Vorgespräche beschleunigen. Was ist bei akuter Gefährdung? Sofort medizinische Hilfe holen und das Gericht umgehend informieren; Eilmaßnahmen sind möglich. Was passiert mit laufenden Anträgen? Sie laufen weiter; die neue Betreuung übernimmt die Koordination.
Fairness & Respekt
Ein Wechsel betrifft alle Beteiligten. Wir achten auf sachliche Kommunikation, geordnete Übergaben und Würde – keine öffentlichen Namensnennungen.
Rechtlicher Hinweis
Dieser Text ersetzt keine Rechtsberatung. Abläufe können regional variieren. Maßgeblich ist die Entscheidung des Betreuungsgerichts.
Quellen (Auswahl)
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Zahlen/Trend gesamt: BdB „Daten & Fakten“ (1,3 Mio. Betreuungen). (Berufsbetreuung)
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Niedersachsen: Justizministerium – Presseinfo 2019 (u. a. 161.116 Betreuungen, ∅ 7,3 Jahre). (Niedersachsen Justizministerium)
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Altersstruktur neue Betreuungen (Anteil 61–90 Jahre): KVJS-Statistik 2023. (KVJS)
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Reform 2023 (BtOG/BGB/FamFG): BMJ-Meldung, Anwaltsblatt. (BMJV)
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Rolle Betreuungsbehörde/Region Hannover: Offizielle Seiten. (Hannover)
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VBVG-Systematik (Dauer/Status/Ort) und Tabellen/Anlage: Gesetze-im-Internet; Buzer; Wegweiser-Übersicht. (Gesetze im Internet)
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Geplanter Wechsel auf 2 Zeiträume/Übergang: Bundestagsdrucksache, BMJ-RefE-Material, Kommentar. (Bundestag Dserver)
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Zeitbudget-Lücke (4,1 Std. vs. 3,3 Std.): BMJ/BdB-Berichte. (Berufsbetreuung)
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Aktuelle Medienlage/Nachwuchsprobleme: BdB-Meldung zum ZDF heute-journal (2025). (Berufsbetreuung)


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